Seit Beginn des Schuljahres 2020/2021 ist das Programm BERLINHATTALENT inklusiv. Seitdem gibt es neben den regulären Testaufgaben auch alternative Testaufgaben für Kinder mit Behinderung, sodass möglichst alle Schüler*innen der Berliner Schullandschaft die Chance haben, am Deutschen Motorik-Test teilzunehmen.
Am Testtag werden sie dafür von den zwei Inklusionsnetzwerker*innen des Landessportbunds, Marie und Erik betreut. Neben den vielen Schulen, welche die beiden Inklusionsnetzwerker*innen jede Woche im Zeichen der Teilhabe besuchen, sind sie zugleich an zahlreichen anderen Stellen für das Programm aktiv.
Im April besuchten sie beispielsweise die erste U19 Para-Boccia-Landesmeisterschaft für Jugendliche mit mittleren bis schweren körperlichen Beeinträchtigungen, organisiert und durchgeführt vom Paralandestrainer Boccia des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes Berlin und 1. Vorsitzenden des Vereins Inklusivo, Peter Hornig. Mit dem Verein Inklusivo hat das Programm einen ersten Partnerverein für BERLINHAT Talent dazugewonnen, der auch ein Sportangebot für Kinder mit schweren mehrfachen Behinderungen bietet.
Marie und Erik beim Zertifikationworkshop Inklusion Sport Rheinsberg, Foto: Andi Weiland | andiweiland.de
Um ihre Expertise im Bereich Inklusion im Sport weiter auszubauen und Kontakte zu neuen Partnervereinen (mit inklusivem Sportangebot) zu knüpfen absolvierten die zwei Inklusionsnetzwerker*innen von BHT vom 27.–29. April das „Zertifikat Inklusion“ in Rheinsberg. Dabei standen u.a. folgende Fragen auf der Agenda: Wie starte ich Inklusion in meinem Verein? Was sind inklusive Praktiken? Wie kann ich eine inklusive Haltung im Team erreichen? Welche Barrieren müssen wir abbauen? Wie sieht inklusiver Sport eigentlich aus?
Darüber hinaus kamen sie auch mit Sportler*innen mit Behinderung, also Expert*innen in eigener Sache, ins Gespräch und konnten inklusiven Sport ausprobieren.
Tillman Wormuth, Schulsportbeauftragte der Senatsverwaltung (Mi.) mit den Inklusionsnetzwerker*innen von BERLINHATTALENT Marie Heinz und Erik Mittermeier beim Bundesfinale
Spitzenniveau beim Bundesfinale von Jugend trainiert für Paralympics (Tischtennis)
Bundesfinale von Jugend trainiert für Paralympics im Horst-Korbers-Sportzentrum
Vom 02. bis 06. Mai fand zudem das Bundesfinale von Jugend trainiert für Paralympics statt. Auch hier durften die beiden nicht fehlen: Bei den Finalspielen im Tischtennis im Horst-Korbers-Sportzentrum begeisterte sie das Tempo und das Spitzenniveau der Athlet*innen. Gemeinsam mit Tillman Wormuth, Schulsportreferent des Landes Berlin, feuerten sie den Berliner Vertreter, die Spieler*innen der Carl-von-Linné-Schule aus Lichtenberg, an.
Zur Person:
Er ist Fachbereichsleiter Sport an der Toulouse-Lautrec-Schule für Kinder mit körperlicher Behinderung und Fachbereichsleiter Sport für alle Berliner Förderzentren für Kinder mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung.
Henry John (Mi.) mit den Inklusionsnetzwerker*innen von BERLINHATTALENT Marie Heinz und Erik Mittermeier
Das Programm BERLINHATTALENT (BHT) gibt es schon über zehn Jahre. Seit zwei Jahren ist es inklusiv – wie bewertest du die Entwicklung?
Das Programm ist großartig und hat viel Potential. Es ermöglicht die Verbindung zwischen Verein und Schule. Es ist notwendig, dass das Programm jetzt auch inklusiv aufgestellt ist, weil es sehr viele Schüler*innen mit Beeinträchtigungen in der Berliner Schullandschaft und zahlreiche Förderzentren gibt.
Warum ist es wichtig, Kinder mit Behinderungen auf ihre motorischen Fähigkeiten zu testen?
Es gibt auch an Förderzentren sportliche Talente. Und es geht um Teilhabe. Ob die Kinder gut oder schlecht beim Deutschen Motorik-Test (DMT) abschneiden, ist zweitrangig.
Was unterscheidet den Deutschen Motorik-Test an einer Regelschule von dem an einem Förderzentrum?
An einer Förderschule gibt es eine starke Diversität, die Kinder sind sehr unterschiedlich. Die Testaufgaben müssen an die Schülerschaft angepasst werden. An Förderzentren geht es aber weniger um den Test an sich bzw. um richtig oder falsch. Es geht darum, dass Schüler*innen mit Behinderung überhaupt am Test teilnehmen können und das Gefühl haben: Ich habe mitgemacht.
2022 haben erstmals alle Berliner Förderzentren für Kinder mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung am Deutschen Motorik-Test teilgenommen. Wie haben deine Schüler*innen den Testtag empfunden? Welche Testaufgaben haben ihnen besonders Spaß gemacht?
Meine Schüler*innen fanden den Testtag toll und spannend: Sie standen im Mittelpunkt – so viel Beachtung kennen sie nicht. Das macht was mit ihnen. Vor dem Test waren sie sehr aufgeregt, weil das Wort „Test“ erstmal nach richtig oder falsch klingt. Aber die Testaufgaben haben ihnen Spaß gemacht. Am Ende waren sie auch erleichtert, dass sie mitgemacht und viel positives Feedback erhalten haben. Es war ein besonderer Tag, weil es ein aufregender Tag war. Einige fanden das Trichterfahren im Rollstuhl besonders toll, andere hatten beim Rennen viel Spaß. Das Setting an sich, z. B. mit Startklappe und Zeitnehmer beim Sprint, hat es für die Kinder besonders spannend gemacht.
Welche Chancen bietet BERLINHATTALENT für Kinder mit Behinderung?
Es bietet die Möglichkeit, dass alle Kinder „gesehen“ werden. Und natürlich gibt es auch an den Förderzentren für Kinder mit körperlicher Behinderung Talente. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, die Schüler*innen zum Sporttreiben nach der Schule zu führen? Das Programm kann Schule und Verein verbinden. Dies funktioniert noch immer nicht gut. Die Eltern sind aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, ihre Kinder auf der Suche nach einem Sportverein zu unterstützen. Das Programm bietet die Chance, die Schüler*innen in den Verein zu bringen. Ob das Kind ein sportliches Talent ist oder nicht, ist zweitrangig. In erster Linie geht es darum, dass die Kinder Sport für sich entdecken. Und Vereine kann gezeigt werden, dass es viele Kinder mit Behinderung gibt, die Lust auf Sport haben und gerne in einen Verein eintreten würden.
Das Ziel von BHT besteht u. a. darin, mithilfe der Gutscheinaktion Kinder in den organisierten Sport zu führen. Wie kann es gelingen, mehr Kinder mit Behinderung in die Sportvereine zu bringen? Wo siehst du Hürden?
Die Gutscheinaktion ist ein erster Schritt. Aber für die Eltern ist der Prozess bis zur Einlösung des Gutscheines nicht immer verständlich. Sie benötigen Unterstützung. Die Lehrerschaft kann dies nicht leisten. Eine weitere Hürde: Eltern und ihre Kinder müssen sich trauen, mit dem Gutschein auf einen Verein zuzugehen. Hier spielt das Schamgefühl eine Rolle. Problematisch ist auch die Organisation der Anfahrt. Oft gibt es noch keine wohnortnahen Sportangebote. Fußball ist zum Beispiel unglaublich nachgefragt. Aber es gibt ganz wenige inklusive Fußballvereine. Schüler*innen aus Pflegefamilien in Vereine zu bringen, ist noch schwieriger, weil die Einzelfallhelfer*innen die Anmeldung oder die Begleitung übernehmen müssen.
2022 fand das 1. Inklusive BHT-Sportfest und der TalentTag Parasport statt. Wie hast du die Events erlebt?
Insbesondere das 1. Inklusive Sportfest in der Max-Schmeling-Halle mit vielen Vereinen an einem Ort fand ich toll. Im besten Fall werden beim nächsten Mal noch mehr Maskottchen aus der Berliner Sportlandschaft für das Event gewonnen – das lockt die Kinder an. Ganz wichtig ist außerdem, die Eltern frühzeitig einzubeziehen: Wer es mit seinem Kind zu einem Sportfest am Wochenende schafft, der schafft es auch, das Kind unter der Woche zum Training zu bringen.
Ich ebenfalls klasse! Ich sehe ihn als eine sinnvolle Veranstaltung für alle Förderzentren für Kinder mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Berlin an, bei der jede Schule dabei sein sollte.
Warum engagierst du dich für eine inklusive Sportlandschaft in Berlin?
Drei Sportstunden pro Woche reichen nicht aus. Sport lebt vom Wettkampf, deshalb haben wir Turniere und Wettkämpfe mit anderen Förderzentren organisiert. Daraus ist eine sportliche Schullandschaft und auf den Wettkämpfen sind eine große Gemeinschaft und Freundschaften entstanden. Mittlerweile konnten wir eine Vielzahl an Wettkämpfen in unterschiedlichen Sportarten zwischen den Förderschulen etablieren – so etwas gibt es nirgends sonst in Deutschland.
Was ist deine Sportart?
In meiner Jugend habe ich Radfahren als Leistungssport betrieben. Später habe ich im Verein Volleyball gespielt und an der Uni unterrichtet. Dann bin ich beim Triathlon gelandet. Mein Traum ist es, den halben Ironman mitzumachen.
Heute ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Dies möchten wir zum Anlass nehmen, um uns bei einem engagierten Schulsportkollegen zu bedanken, für den Inklusion mehr als ein Begriff ist.
Henry John, Sportkoordinator der Förderzentren für körperliche und motorische Entwicklung in Berlin
Henry John ist Sportkoordinator der Förderzentren für körperliche und motorische Entwicklung in Berlin. Sein vielfältiges Engagement erstreckt sich weit über den Schulalltag hinaus, ganz im Sinne der Teilhabe und Inklusion. Die Erarbeitung und Umsetzung des inklusiven Schwerpunktes im Programm BERLINHATTALENT unterstützte er bereits in den Anfängen mit großem Eifer. Seine Expertise und Ideen sowie seine konstruktiven Lösungsansätze bereichern das inklusive Netzwerk unserer Stadt und bringen auch unser Programm stetig voran. Im Sommer ermöglichte er an seiner Schule, dem Toulouse-Lautrec Förderzentrum, einen Demo-Testtag zur Erfassung motorischer Fähigkeiten bei Kindern mit Körper- sowie Mehrfachbehinderungen. Vor einigen Wochen lud er das Programmteam zu einer Fortbildungs-Veranstaltung im Rahmen der Lehrkräfteausbildung ein, um bereits den Nachwuchs für die Bedeutung der Inklusion zu sensibilisieren.
Am 10.11.2021 fand das praxisorientierte Seminar im Sport- und Gesundheitspark Wilmersdorf statt. Die angehenden Sportlehrkräfte wurden über das Programm BERLINHATTALENT informiert und auf die Reise zum inklusiven Deutschen Motorik-Test in Theorie und Praxis mitgenommen. „Das war ein gelungener Input. Der Praxisteil ist genau das, was uns im Referendariat oft fehlt“, so John. Inklusions-Netzwerkerin Marie Heinz (LSB Berlin) stellte die alternativen Testaufgaben sowie deren Anwendung im Schulalltag vor. Der Projektleiter Jan Lesener (SenBJF) erläuterte den aktuellen Projektstand und regte die Diskussion an: Wie kann die Inklusion bei der Testung motorischer Fähigkeiten von Grundschülern mit Behinderung gelingen?
Die Ziele solcher Kooperationen sind es, angehende Sportlehrkräfte über das Programm zu informieren, sie für die Inklusionskomponente zu sensibilisieren und vorzeitig Hürden abzubauen. Gleichzeitig gilt es, ihre Expertise und Vorschläge aufzugreifen und zielgerichtet umzusetzen.
Wir bedanken uns bei Henry John für die vielzähligen Möglichkeiten des Austausches und freuen und auf weitere gemeinsame Aktionen im Sinne Kinder, im Sinne der Inklusion.
Dieses Video entstand am Demo-Testtag am Toulouse-Lautrec Förderzentrum.